Startseite » BIM » „Es geht nicht von heute auf morgen“: Günter Siebers über die Stuttgarter BIM-Strategie
4builders.: Herr Siebers, die Baubranche kommt um Building Information Modeling, kurz BIM, nicht herum. Trotzdem ist die Methode noch nicht so verbreitet, wie viele sich das wünschen. Welche Rolle spielen die kommunalen Verwaltungen dabei?
Günter Siebers: Sind wir doch froh, dass die Baubranche nicht mehr um BIM „herumkommt“. Internationale und nationale BIM-Projekte geben der Methode recht und setzen das, was man mit BIM an Verbesserungen erwartet hat, in die Praxis um. BIM ist die ebenso wünschenswerte wie erforderliche Entwicklung in Richtung Digitalisierung der Baubranche. Und in dieser Entwicklung spielt die Öffentliche Hand, und damit auch die kommunale Verwaltung, eine wichtige Rolle.
Die Stadt kann und muss als größter Aufraggeber des Baugewerbes durch klare und verlässliche Richtungsvorgaben Führung innerhalb dieser Entwicklung übernehmen, um damit die Voraussetzungen für notwendige Investitionsentscheidungen der Wirtschaftsunternehmen zu schaffen. Gleichzeitig soll mit der Einführung der BIM-Methode in Deutschland kein Flickenteppich unterschiedlicher Vorgaben, Standards und Herangehensweisen entstehen. Darum wird ein konzertiertes Vorgehen sowohl auf europäischer, aber auch auf Bundesebene angestrebt.
Im Oktober 2022 ist mit BIM Deutschland eine Plattform gestartet, deren Ziel es ist, mit aufeinander abgestimmten Informationen, Mustern und Werkzeugen ein möglichst einheitliches Vorgehen bei der Einführung von BIM im gesamten Bundesgebiet zu ermöglichen. Speziell hier in Stuttgart wurde mit dem Richtungsentscheid zur Einführung der BIM-Methode bis 2030 durch den Stuttgarter Gemeinderat im Februar 2023 ein klares Ziel gesetzt. Die Verwaltung hat nun die herausfordernde Aufgabe, dieses Ziel zu erfüllen.
Die Stadt Stuttgart will BIM bis zum Jahr 2030 bei allen Bauprojekten einführen. Wieso brauchen Sie dafür noch sechseinhalb Jahre? Und wo stehen Sie aktuell?
Derzeit laufen in Stuttgart insgesamt drei Pilotprojekte in unterschiedlichen Ämtern und in verschiedenen Baubereichen. Zur Entwicklung einer gesamtstädtischen BIM-Strategie und deren Koordination zwischen den verschiedenen Ämtern und Eigenbetrieben aus unterschiedlichen Referaten wurde Anfang 2023 die Organisation BIM.Stuttgart gegründet.
Die BIM-Methode bringt mehrere zusätzliche Aufgaben und Rollen mit sich, die für die Umsetzung der neuen Prozesse gebraucht werden. Das betrifft sowohl die mehreren hundert kommunalen Bau- und Sanierungsprojekte, die Jahr für Jahr parallel in Stuttgart in der Planung oder Umsetzung sind, als auch die vielen tausend Bauwerke in städtischem Besitz, deren Verwaltung und Betrieb ebenfalls mithilfe der Methode noch weiter verbessert werden sollen.
Allein der Aufbau der hierfür notwendigen personellen Kapazitäten benötigt erfahrungsgemäß einen mittelfristigen Zeitraum. Der Markt um diese Fachkräfte ist bereits umkämpft, und man muss davon ausgehen, dass sich dieser Effekt noch verstärkt, wenn die Entwicklung von BIM weiter Fahrt aufnimmt; spätestens sobald die gesetzlichen Vorgaben auch die Landes- und kommunale Ebene erreichen. In großen Teilen des Bundesinfrastrukturbaus ist BIM bereits Pflicht.
Gleichzeitig benötigen Planungsbüros, Baufirmen und Handwerkerbetriebe einen ausreichenden Vorlauf, um eigene Prozesse und Fähigkeiten zu entwickeln und sich an die neuen Vorgaben anzupassen. Darum ist ein Übergangszeitraum bis 2030 auch im Hinblick auf die Partner aus der Wirtschaft sicher geboten.
Sie müssen für die Einführung von BIM passende Organisationsstrukturen schaffen. Wie sehen diese konkret aus?
Die bereits erwähnte Organisation BIM.Stuttgart wurde mittels einer von Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper unterschriebenen Organisationsverfügung im Januar 2023 gegründet. In BIM.Stuttgart sind praktisch alle bauenden und bauverwaltenden Ämter und Eigenbetriebe vertreten, zusätzlich bauen sie im eigenen Haus einen Kompetenzbereich BIM auf. Jeweils eine Vertreterin jeder dieser Kompetenzbereiche vertritt das eigene Amt oder den Eigenebetrieb innerhalb des Entscheidungsgremiums von BIM.Stuttgart. Dort werden Vorlagen, Standards und Regelungen abgestimmt und gelten infolge für alle Mitglieder bei der Umsetzung der BIM-Methode in der ganzen Stadt.
In themenbezogenen Arbeits- und Fachgruppen werden diese Vorlagen etc. erarbeitet, dem Entscheidungsgremium vorgestellt und dort beschlossen. Die Koordination der verschiedenen Gruppen, im Hinblick auf Erreichen der abgestimmten städtischen Ziele und der Gesamtstrategie, übernimmt ein Programm-Management, welches außerdem die Öffentlichkeitsarbeit sowie die verschiedenen Ämter und Eigenbetriebe beim Aufbau ihrer Kompetenzbereiche unterstützt.
Wieso entwickelt jedes Amt und jeder Eigenbetrieb eine individuelle Strategie? Verlangsamt das den Prozess nicht unnötig?
Aufgrund der Verschiedenartigkeit der Aufgaben bedeutet die Einführung von BIM in verschiedenen Ämtern oder Betrieben zum Teil sehr unterschiedliche Dinge, die miteinander nicht vergleichbar sind. Also ein bauendes Amt hat ganz andere Schwerpunkte als ein rein verwaltendes/betreibendes Amt.
Die städtische Gesamtstrategie klärt, welche gemeinsamen Ziele mit welchen Maßnahmen in welchen Schritten erreicht werden sollen. Wie ein Amt oder Eigenbetrieb aber Maßnahmen intern umsetzt, mit wie vielen Mitarbeiter*innen und wie diese gewonnen bzw. geschult werden, kann nur mit einer eigenen, hausinternen Strategie pro Amt und Betrieb definiert werden. Für eine Harmonisierung untereinander bzw. mit der städtischen Gesamtstrategie sorgt wiederum die Koordination durch den Programm-Manager, den man auch als eine Art Multi-Projekt-Manager verstehen kann.
Unsere Mitarbeiter*innen sind hoch motiviert und stehen der Entwicklung BIM sehr positiv gegenüber.
Günter Siebers
Die öffentliche Verwaltung ist häufig träge, Veränderungen gelingen nur langsam. Zudem müssen neben Ihrem Team noch weitere Ämter und Eigenbetriebe der Stadt mitziehen. Wie schaffen Sie es, alle betroffenen Mitarbeitenden mitzunehmen?
Grundsätzlich kann man schon betonen, dass unsere Mitarbeiter*innen hoch motiviert sind und der Entwicklung BIM sehr positiv gegenüberstehen. Aber man muss auch die Rahmenbedingungen für eine solche Arbeit innerhalb der Verwaltung erst herstellen und das geht nicht von heute auf morgen. Für das „Ontop-Prinzip“ ist das Thema BIM zu groß, hier braucht es weitergreifende Lösungen, zumal das Tagesgeschäft weiterlaufen muss. Eine Umsetzung unter diesen Voraussetzungen kann nur mit viel und guter Kommunikation, und außerdem nur schrittweise gelingen.
Den organisatorischen Überbau haben wir mit BIM.Stuttgart bereits auf den Weg gebracht, und auch über die grundsätzlichen Ziele, die mit der Anwendung der Methode für Stuttgart erreicht werden sollen, sind sich die Beteiligten weitestgehend einig. Nun muss das Thema in die Breite der Ämter und Betriebe multipliziert werden, was vor allem eine Change-Management-Herausforderung darstellt. Aber auch dafür stehen etablierte Werkzeuge zur Verfügung, derer wir uns, angepasst an die jeweiligen Rahmenbedingungen, bedienen.
Wo mussten Sie die meiste Überzeugungsarbeit leisten?
Wie gesagt, innerhalb der Stadt herrscht sehr großes Interesse und man kann sicher auch sagen Neugier zum Thema BIM. Aber wie bei jedem Change Prozess muss man die Kolleg*innen mitnehmen, informieren, informieren… und dies über alle Entscheidungsebenen der Stadtverwaltung hindurch. In der Übergangs- und Einführungsphase haben wir sicher ein gutes Stück an Mehrarbeit und diese Arbeit muss dennoch parallel zum Tagesgeschäft mit erledigt werden. Aber mit dem klaren Auftrag unseres Gemeinderats zur Einführung von BIM haben auch wir in der Verwaltung Planungssicherheit und können uns entsprechend verhalten.
Um BIM überhaupt einführen zu dürfen, mussten Sie den Gemeinderat von der Methode überzeugen. Wie ist Ihnen das gelungen?
Beim Gemeinderat bzw. den technischen Ausschüssen haben wir mit dem Thema offene Türen eingerannt. Sicher wir haben im Vorfeld informiert und die Chancen und Potenziale aufgezeigt. Letztendlich war der Gemeinderat aber soweit involviert, dass die Beschlüsse einstimmig verabschiedet werden konnten.
Unabhängig davon sind wir als kommunale Verwaltung ohnehin zu dem nach bestem Wissen wirtschaftlichsten Einsatz von Steuermitteln verpflichtet, weshalb wir uns mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin früher oder später mit der BIM-Methode hätten beschäftigen müssen. Doch mit dem klaren Auftrag seitens des Gemeinderats erhält das Thema auch das politische Gewicht und den Rückenwind, die geeignet sind, ein eindeutiges Signal sowohl in die Verwaltung als auch in die Wirtschaft zu senden.
Sie haben eine übergeordnete BIM-Organisation und die Strukturen in den verschiedenen städtischen Ämtern und Betrieben geschaffen. Zudem laufen drei Pilotprojekte. Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Wir sind derzeit noch dabei, verschiedene Rahmendokumente und Mustervorlagen zu erarbeiten, die sowohl im Einklang mit den Vorgaben auf Bundesebene (BIM Deutschland) stehen, aber selbstverständlich auch eventuelle Besonderheiten unserer städtischen Gegebenheiten berücksichtigen. Geplant ist, diese Arbeiten und die Identifikation weiterer geeigneter BIM-Projekte bis Jahresende abzuschließen, sodass im Jahr 2024 die nächsten Projekte mit der Methode starten können. Darauf aufbauend soll dann Schritt für Schritt jedes Jahr der Anteil der Neubau- und Sanierungsprojekte steigen, der mit der BIM-Methode umgesetzt wird. Parallel dazu werden die technischen und prozessualen Voraussetzungen für die Pflege und Nutzung der Daten im Betrieb der städtischen Bauwerke entwickelt und etabliert. BIM hört ja nach dem Bauen nicht auf. Auch haben wir noch sehr viele kommunale Bestandgebäude in der Stadt, die auch in den BIM-Lebenszyklus aufgenommen und betrieben werden sollen. Somit gibt es hier noch vieles zu tun.
Was empfehlen Sie anderen Städten und Gemeinden, die BIM einführen möchten?
Starten Sie mit einem Pilotprojekt mit entsprechender Beratung. Lernen Sie aus der Praxis und adaptieren Sie diese Abläufe in Ihre Prozesse. Starten Sie außerdem nicht bei null, sondern nutzen Sie die Vorlagen und Informationen von BIM Deutschland und Städten wie vor allem Hamburg, welche bereits einige Jahre Erfahrung mit der Methode sammeln konnten.
Das Gespräch führte Vanessa Michaeli.
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