Startseite » Öffentliche Projekte » Inga Stein-Barthelmes verlässt planen-bauen 4.0. Im Interview sagt sie: “Es muss ein Kulturwandel in der Welt des Bauens stattfinden”
4builders.: Frau Stein-Barthelmes, Sie haben in Ihrer Zeit bei der planen-bauen 4.0 viele Schritte der Branche miterlebt. Wo steht die Branche heute in Bezug auf die Digitalisierung?
Inga Stein-Barthelmes: Wir sind längst in einer digitalisierten Welt angekommen. Die Digitalisierung betrifft nicht mehr nur klassische IT-Unternehmen, sondern Unternehmen quer durch sämtliche Branchen und Sektoren. Neue oder veränderte Geschäftsmodelle entstehen: Autos werden per App geteilt, Sprachen werden online gelernt und Musik wird gestreamt. Die Digitalisierung hat im vergangenen Jahrzehnt weite Bereiche der Wirtschaft erfasst und für einen immensen Zugewinn an Produktivität in den unterschiedlichsten Industriesektoren gesorgt. Diese Entwicklung ist in der Baubranche eher langsam. Zwar werden auch im Bauwesen für die Planung, Errichtung und den Betrieb von Bauwerken digitale Werkzeuge eingesetzt, der Grad der Weiternutzung einmal erzeugter digitaler Informationen bleibt jedoch weit hinter den anderen Branchen zurück. Viel zu häufig gehen wertvolle Informationen verloren. Derartige Informationsbrüche treten über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks hinweg auf: angefangen bei den verschiedenen Phasen der Planung über die Ausführung und die lange Phase der Bewirtschaftung bis hin zum Um- beziehungsweise Rückbau des Bauwerks.
Was bedeutet das für die Wertschöpfungskette Bau?
Die leistungsfähigen, ressourceneffizienten, intelligenten, sozialen und gut gestalteten Bauwerke und Infrastrukturen, die wir in Zukunft brauchen, werden großes fachliches Know-how und ein sehr viel engeres Zusammenspiel aller Akteure erfordern, da sie immer komplexer werden. Dabei kann die Digitalisierung einen wertvollen Beitrag leisten. Sie ist ein Werkzeug und eine Methode, mit der wir für unser Leben, Arbeiten und unsere gebaute Umwelt einen Mehrwert schaffen können. Da sie die gesamte Wertschöpfungskette Bau erfasst, wird dies zu einer gemeinsamen, interdisziplinären Aufgabe für alle Beteiligten.
Wie kann die Branche diese Aufgabe meistern?
Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung innovativer digitaler Techniken sind durchgängige Informationsflüsse, Daten und Prozesse. Dafür benötigen wir verlässliche und allgemein zugängliche Standards. Mindestens ebenso wichtig sind jedoch Kooperation, integriertes Arbeiten und Partnerschaft. Die Digitalisierung kann die Trends der Zukunft und somit das Bauen voranbringen und zu einer enormen Effizienzsteigerung führen. Ein Umdenken muss stattfinden und somit ein Kulturwandel in der Welt des Bauens. Baukultur neu denken. Um der Digitalisierung in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen, hat die Wertschöpfungskette Bau die planen-bauen 4.0 GmbH gegründet. Die Gründung der Gesellschaft ist ein echter Meilenstein. Dass es gelungen ist, die Interessen eines so großen Wertschöpfungsbereiches der deutschen Wirtschaft auf ein gemeinsames Ziel ‘Zukunft zu gestalten’ zu verpflichten, ist historisch.
Wenn wir Klimaschutz beim Bauen ernst nehmen, dann müssen wir konsequent das Instrument BIM einsetzen.
Inga Stein-Barthelmes
Und wie sieht es mit der Nachhaltigkeit aus? Wenn man sich umhört, kommt öfter das Gefühl auf, dass viele Beteiligte das Thema Nachhaltigkeit als “zu Öko” abstempeln und nicht wirklich angehen möchten.
Das würde ich nicht sagen. Das Thema Nachhaltigkeit wurde oft mit vielen Phrasen vor sich hergetragen. Es war ein Modewort. Alles war beziehungsweise ist nachhaltig gewesen. Nun wird es aber ernst. Durch die Taxonomie bekommt auch dieses Thema endlich Fahrt. Eins ist sicher: Wenn wir Klimaschutz beim Bauen ernst nehmen, dann müssen wir konsequent das Instrument BIM einsetzen. Nur so können wir alle effizient und effektiv vorankommen.
Der Gebäudesektor hat im vergangenen Jahr 112 Millionen Tonnen CO2 verursacht. Das ist zwar weniger als in 2021, aber mehr als die vorgegebene Grenze von 108 Millionen Tonnen CO2. Nimmt die Branche die Themen Ökologie und Kreislaufwirtschaft also wirklich ernst genug?
Ja, auf jeden Fall. Es müssen nur auch die Rahmenbedingungen stimmen. Vieles ist mittlerweile zu überladen. Es gibt zig Normen, Verordnungen und andere Vorgaben, die sich teilweise widersprechen. Wie soll die Branche so all ihre innovativen Lösungen umsetzen? Schwer machbar.
Welche Impulse erwarten Sie in Sachen Digitalisierung von staatlicher Seite?
Das Thema ist komplex und erfordert ein Umdenken aller Beteiligten. Es gibt bei einigen Akteuren die Sorge, dass durch die Digitalisierung Jobs wegfallen oder sie Geschäft verlieren. Andererseits gab es das politische Ziel, bis 2021 für öffentliche Bauprojekte den Einsatz von BIM-Lösungen vorzuschreiben, um die Effizienz, Kostenkontrolle und Dokumentation zu verbessern. Doch bei der Einführung hat es an Konsequenz der öffentlichen Hand gefehlt. Die Regelung wurde per Stufenplan aufgeweicht und soll nun – erneut mit Ausnahmen – bis 2025 greifen. Ich denke, dass es an klarer Regulierung und Standardisierung fehlt. Wer einmal mit BIM-Lösungen gearbeitet hat, macht damit weiter, weil es die Prozesse für alle beteiligten Gewerke so enorm vereinfacht. Die öffentliche Hand sollte mit gutem Beispiel vorangehen, um zu zeigen, dass – und wie gut es funktioniert. Dann wird auch die mittelständische Bauwirtschaft nachziehen.
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Kann die Branche überhaupt ohne staatliche Impulse und Gesetze nachhaltiger und digitaler werden?
Viele in der Branche sind es ja schon beziehungsweise setzen es um. Der Staat muss klare Rahmenbedingungen und ein definiertes Ziel vorgeben. Die Branche findet dann die Lösungen.
Der Gründungsgedanke der planen-bauen 4.0 lautet “Gemeinsam. Digital mit der gesamten Wertschöpfungskette Bau”. Welcher Teil der Wertschöpfungskette muss sich am meisten bewegen?
Das kann man so nicht sagen. Wichtig ist, dass sich alle bewegen. Weg von dem Gedanken ‘Geschäftsmodell BIM’ hin zu ‘BIM als Instrument’. Unser Unternehmen ist 2015 auf politischen Wunsch hin entstanden. Es gab in der ‘Reformkommission Großprojekte’ die Erkenntnis, dass BIM und andere digitale Ansätze viel Potenzial für die Wertschöpfungsketten am Bau bergen. Anstatt einen weiteren Verband mit neuen Gremien und Eigeninteressen ins Leben zu rufen, gab es die Idee, eine GmbH zu gründen, die gemeinnützig agiert, und deren Aufgabe es ist, die Digitalisierung der Wertschöpfungsketten am Bau auf allen Ebenen zu forcieren. Letztlich geht es darum, mehr Dynamik in die Digitalisierung zu bekommen. Die öffentliche Hand, private Bauunternehmen und Start-ups können hier gemeinsam viel erreichen.
In Ihrer neuen Position als Marktbereichsleiterin Bundesbau bei dem Beratungsunternehmen PD bleiben Sie der Branche weiterhin treu. Was dürfen wir in den nächsten Monaten von Ihnen erwarten?
Lassen Sie sich überraschen… Weiterhin gilt für mich der Grundsatz: ‘Gemeinsam. Digital. Mit der gesamten Wertschöpfungskette Bau’.
Das Gespräch führte Vanessa Möller.
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