Startseite » Inspiration » Meinung: “Damit wir die Digitalisierung des Baus nicht komplett verschlafen, müssen wir jetzt tätig werden”
Durch die Corona-Pandemie und Probleme der Lieferketten haben sich viele Bauvorhaben in Deutschland verzögert. Der Wohnungsmangel in Großstädten und die hohe Nachfrage nach klimafreundlichen Gebäuden erzeugen einen gigantischen Bedarf, der aufgrund des Baustoff- und Fachkräftemangels nur schwer zu decken ist. Gleichzeitig verhindern die intransparenten Strukturen der Baubranche und eine Politik des “Weiter so” die Einführung dringend benötigter neuer Technologien und Software. Damit wir die Digitalisierung des Baus nicht komplett verschlafen, müssen wir jetzt an der Basis tätig werden.
Wenn die deutsche Baubranche nicht rechtzeitig nachzieht, leidet die Wettbewerbsfähigkeit und die Kompatibilität deutscher Bau-Technologien mit den Produkten auf fortschrittlicheren Märkten. Das alleine ist schon Grund genug, die Digitalisierung endlich anzugehen und ein stabiles Fundament für die digitale Zukunft der Baubranche zu schaffen. Packen wir es an!
Alexander Gran
Das Zukunftsthema, das die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Professionen in der Baubranche revolutionieren wird, ist das Building Information Modeling (BIM). Damit können Planer ein virtuelles Modell des Bauobjektes samt allen Maßen, Verhältnissen und physischen Eigenschaften der einzelnen Bestandteile erstellen. Wird ein Teil des Plans aktualisiert, passen sich alle damit in Beziehung stehenden Werte automatisch an, sodass jedes Gewerk immer auf dem aktuellen Stand der Planung ist. Doch damit BIM die Effizienz steigert, müssen sämtliche Prozesse digitalisiert werden, ohne dass zwischendurch auf Papier und Kugelschreiber zurückgegriffen wird. Daher müssen für die erfolgreiche Einführung von BIM zunächst die folgenden sechs Technologien sinnvoll angewendet werden
Mit Virtual Reality (VR) können geplante Bauprojekte schon vor Beginn der Bauphase virtuell betreten, überprüft und getestet werden. Dieser Ansatz liefert bereits im Vorfeld wertvolle Erkenntnisse über potenzielle Auswirkungen und Probleme, die während des Baus und in der anschließenden Nutzung auftreten können. VR-Technik eignet sich außerdem hervorragend zu Schulungszwecken, etwa für die Nutzung komplexer Maschinen oder zur korrekten Anwendung von Schutzmaterialien auf der Baustelle.
Auch die Aufbewahrung, Sortierung und Verwendung von Produktdaten muss so digitalisiert werden, dass sie unternehmensübergreifend verwendet werden können. Sowohl stationäre Baustoffhändler als auch Mitglieder des Bundesverband digitales Bauwesen setzen sich bereits für digitale Katalog-Datenstandards ein, letztere beherrschen auch die für VR und BIM nötige Datenflut.
Präzise virtuelle Modelle liefern die Basis für 3D-Drucke von Gebäudeteilen, die in Vorproduktion oder direkt vor Ort auf der Baustelle produziert werden. Der 3D-Druck birgt ein riesiges Potenzial für den Bau: Durch die flexible Produktgestaltung können die Teile individuell geplant und eingesetzt werden, ohne sich wie gehabt in unzähligen Varianten zu verlieren. Das ermöglicht eine massive Verkürzung der Projektdauer, weil das genau passende Teil ohne Nachbearbeitung direkt verbaut werden kann. Zuletzt lassen sich durch die komplexeren Geometrien recyclinggerechte Materialien als Druck- oder Füllstoff verwenden – ein wichtiger Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft.
Für digitale Zusammenarbeit ist essentiell, dass alle Schritte in der Prozesskette digitalisiert werden: Medienbrüche, etwa durch Lieferscheine auf Papier, erschweren diese Zusammenarbeit. Wo Bestellung und Rechnung mit EDI, Order-X und ZUGFeRD bereits digital und hybrid möglich sind, ist der Papierlieferschein auf deutschen Baustellen immer noch Realität. Ein stetig wachsendes Konsortium um Peter Rösch, Berater für Organisation und IT von Bauunternehmen, mit vielen namhaften Playern möchte dies nun ändern und hierzu UN/CEFACT bzw UBL-Standards einführen. Das Projekt wird zur digitalBau 2022 vorgestellt und schließt damit diese Lücke.
Künstliche Intelligenz kann besonders in der Angebotsphase eines Projekts einen großen Beitrag liefern. Besonders die Bearbeitung von Leistungsverzeichnissen ist für alle Beteiligten mühsam und wird meist von manuellen und analogen Prozessen getrieben, die die digitale Kette ebenfalls aufbrechen. Viele innovative Unternehmen sind dabei, dies durch den Einsatz künstlicher Intelligenz zu optimieren oder vollständig zu automatisieren. So entwickeln neben bobbie auch die GC Gruppe, N1 Trading, und Tritolo ihre Lösungen stetig weiter. Während der Planungsphase unterstützt künstliche Intelligenz, indem sie die Masse an Daten aus dem BIM überprüft und zielsicher Fehler und Abweichungen findet.
Seit etlichen Jahren arbeitet das Unternehmen HoloBuilder, jetzt unter dem Dach von Faro, daran, die Baustelle und ihren Fortschritt digital zu erfassen – unter anderem unter Verwendung der SpotWalk Roboterhunde, die sich flexibel auf unebenem Grund bewegen, autonom die Veränderungen aufnehmen und in ein digitales Modell umwandeln. Auch nach dem Bau kann zukunftsorientierte Dokumentationssoftware Verwaltung und Sanierung von Immobilien unterstützen – etwa indem eine KI die Außenansicht eines Gebäudes auf Hinweise für mögliche Schäden analysiert. Fließen solche erfassten Daten in das BIM-Modell zurück, kann diese echte “as built”-Dokumentation ohne Handzeichnungen und manuellen Fotoimport digitalisiert und allen Beteiligten zur Verfügung gestellt werden.
Als letzter Schritt vor der durchgängigen Einführung von BIM muss noch die Beschaffung von Material, Maschinen und Nachunternehmerleistung digital gesteuert werden. Eine solche eProcurement-Software gleicht alle erforderlichen Produktinformationen der benötigten Ware mit den Beständen des Lieferanten ab. Dabei können Angebote eingeholt und verglichen, Genehmigungen, Bestellungen und Transaktionen durchgeführt sowie Lieferungen überwacht werden. Unternehmen wie Cosuno und Klarx arbeiten bereits sehr aktiv an eProcurement-Schnittstellen, die zu einer effizienten und nachhaltigen Nutzung von Ressourcen beitragen.
Sobald die genannten Lösungen verfügbar sind und eingesetzt werden, können wir dem ganzheitlichen BIM zuwenden – das wird voraussichtlich ab 2023 der Fall sein. Dafür müssen Unternehmen digitale Lösungen wie BIM aber nicht nur zulassen, sondern ihren Ausbau auch aktiv fördern. Denn die Nachbarländer schlafen nicht: Schweden und Norwegen, die USA, aber auch die asiatisch-pazifische Region treiben die Digitalisierung im Bausektor entschieden voran und setzen so neue Standards. In Großbritannien etwa ist BIM schon bei 73 % der Unternehmen im Einsatz.
Wenn die deutsche Baubranche nicht rechtzeitig nachzieht, leidet die Wettbewerbsfähigkeit und die Kompatibilität deutscher Bau-Technologien mit den Produkten auf fortschrittlicheren Märkten. Das alleine ist schon Grund genug, die Digitalisierung endlich anzugehen und ein stabiles Fundament für die digitale Zukunft der Baubranche zu schaffen. Packen wir es an!
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