Startseite » Hochbau » [Meinung] Klimaneutral. Inklusiv. Vernetzt – Das digitale Gebäude der Zukunft
Wenn wir über die Zukunft nachdenken, sind unserer Kreativität oft keine Grenzen gesetzt – auch wenn wir uns zum Beispiel Immobilien im Jahr 2060 vorstellen: Schnell schweifen die Gedanken zu futuristischen Glaspalästen, umschwärmt von fliegenden Autos und vollgepackt mit technischen Gadgets, die das Leben der Menschen bestimmen.
Die Herausforderungen der Gegenwart an den Gebäudebestand sind im Gegensatz dazu ganz andere: Der Klimawandel, der zu einem nicht unerheblichen Teil auch durch die hohe CO2-Bilanz des Gebäudesektors befeuert wird. Eine Rekordinflation, die sich auch auf Mietpreise und die Energiekosten auswirkt und hierdurch die soziale Ungleichheit nur verstärken wird. Ein insbesondere in den Großstädten zunehmender Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der durch die schwierigen Rahmenbedingungen für Neubauten sowie aktuelle Migrationsbewegungen noch weiter zunehmen wird.
Der futuristische Glaspalast hat auf diese Herausforderungen keine Antwort. Ohnehin gilt es die Erwartungen an den Neubau deutlich herunterzuschrauben. Denn Deutschland ist salopp formuliert „fertig gebaut“: 18 Millionen Wohngebäude mit über 40 Millionen Wohnungen gibt es in der Bundesrepublik.
Im Vergleich dazu sollen laut Plan der Bundesregierung jährlich lediglich 400.000 neue Wohnungen entstehen. Selbst wenn diese von Fachleuten überwiegend als unrealistisch bezeichneten Neubaupläne gelängen, würde es über 100 Jahre dauern, die durchschnittlich 36 Jahre alten und zum Teil unsanierten Immobilien durch hochmoderne Neubauten zu ersetzen.
Das Gebäude der Zukunft ist nicht der High-Tech-Neubau in der Berliner Innenstadt.
Das Gebäude der Zukunft ist somit nicht der High-Tech-Neubau in der Berliner Innenstadt. Sondern es steht bereits heute als 9-Parteienhaus aus den 60ern in Krefeld oder als 20-Parteien-Plattenbau aus den 70ern in Hoyerswerda. Diese Gebäude sind es – unscheinbar im Erscheinungsbild, ungedämmte Fassade an der Wand und Gas-Zentralheizung im Keller –, die den Lebensmittelpunkt von über 37 Millionen Mietenden in Deutschland darstellen. Und für die digitale Innovationen gedacht werden müssen, wenn wir schnell skalierbare Erfolge verzeichnen wollen.
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Ein gutes Beispiel, wie Digitalisierung von Bestandsgebäuden schnell und kostengünstig zu einer verbesserten CO2-Bilanz des Gebäudes beitragen kann, ist Sensorik: Durch kleine Sensoren an Heizkessel, Heizungssträngen und Thermostaten kann die Wärmeerzeugung bedarfsgerecht gesteuert und der Energieverbrauch je nach Ausgangssituation um bis zu 30 Prozent reduziert werden – ohne dabei den Komfort einzuschränken.
Auch lokale Strom- und Wärmeerzeugung, beispielsweise über die PV-Anlage auf dem Dach oder die Wärmepumpe im Keller, kann mittels digitalen Monitoring-Systemen effizienter gesteuert werden. Das senkt die Abhängigkeit des Objekts von der Lieferung fossiler Energieträger.
Die Digitalisierung kann helfen, Mieten bezahlbar zu halten.
Eine solide Datengrundlage der Energieverbräuche hat dabei noch weitere Vorteile: So lassen sich viele der von den Sensoren generierten Echtzeit-Informationen auch für die Kommunikation des aktuellen Verbrauchs an die Mietenden sowie die Erfüllung von ESG-Dokumentationspflichten nutzen. Das ermuntert sowohl Mieter als auch Vermieterin zusätzlich zum ressourcenschonenden Betrieb der Immobilie.
Im Vergleich zum Austausch technischer Anlagen oder der energetischen Kernsanierung des Gebäudes sind digitale Steuerungstools und Sensoren zumeist deutlich kostengünstiger. Das ist insbesondere für sozial-orientierte Vermieter wie Genossenschaften oder kommunale Wohnungsunternehmen ein entscheidender Vorteil. Digitalisierung kann somit helfen, Mieten bezahlbar zu halten beziehungsweise das Wohnerlebnis zu erhöhen.
Die Mieterschaft wird nicht nur im sozialen Wohnungsbau immer vielfältiger. Digitale Tools wie Mieterportale oder Chatbots können auch mehrsprachig mit den Mietenden adressatengerecht kommunizieren und zum Beispiel Energiespartipps oder notwendige Modernisierungsmaßnahmen leicht verständlich auch Menschen mit geringen Deutschkenntnissen näherbringen.
Auch ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschen haben besondere Anforderungen an die Wohnung: Ambient-Assisted-Living-Lösungen wie Sturzsensoren oder Notfallsysteme können mit geringem Installationsaufwand helfen, dass auch sie länger und sicherer in der vertrauten Umgebung wohnen bleiben können.
Aus Sicht des Gebäudebetreibers gedacht ermöglicht die Digitalisierung nicht nur Effizienzgewinne durch die Automatisierung von Routine-Prozessen wie einer Handwerkerbeauftragung oder der Erstellung der Betriebskostenabrechnung: Auch ganz neue Geschäftsmodelle wie die Vermarktung von Stellplätzen über eine Nachbarschaftsplattform oder Digital-Entertainment-Angebote für die Bewohnenden können entstehen. Das ermöglicht neue Einnahmequellen im sonst strikt regulierten Mietmarkt.
Was braucht es also, um aus dem Gebäude von heute ein Gebäude der Zukunft zu machen? Zuerst einmal Technologieoffenheit bei der Zielerreichung: Warum nicht mal digitale Alternativen zur teuren Gebäudedämmung ausprobieren die ähnlich hohe Verbrauchseinsparungen versprechen? Bei allen Digitalprojekten sollte der Fokus dabei klar auf dem Bestand liegen, denn hier liegt das größte Skalierungspotential.
Es braucht mehr Mut, neue Wege zu gehen.
Bei den Wohnungsunternehmen braucht es mehr Mut, neue Wege zu gehen und auch mal Kooperationen mit Startups oder Forschungseinrichtungen auszuprobieren. Der Austausch mit anderen Branchenteilnehmenden, wie ihn beispielsweise digitale Vernetzungsplattformen wie das Kompetenzzentrum DigiWoh für die Wohnungswirtschaft anbieten, kann dabei ein erster Schritt sein.
Wenn dann noch die politischen Rahmenbedingungen durch realistischere Ziele, flexiblere Wege zur Zielerreichung und gezielte Förderung stimmen, steht der Wohnungswirtschaft nichts mehr im Wege, die Herausforderung der Gegenwart anzugehen.
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