Startseite » Nachhaltigkeit » “Viele Mieter sind bereit, höhere Preise zu zahlen, wenn Nachhaltigkeitsstandards eingehalten werden”
4builders.: Herr Professor Schütz, seit wann arbeiten Sie mit BIM und bei wie vielen Projekten setzen Sie BIM bereits ein?
Prof. Dr. Elmar Schütz: Wir verfügen bereits über einige Erfahrungen in der Anwendung des Building Information Modelings. Allerdings ging es bisher überwiegend darum, Planungsfehler zu vermeiden. Erstmals setzen wir BIM nun in einem Projekt so ein, dass wir einen umfangreichen digitalen Zwilling generieren. Dieser wird dann auf die Madaster-Plattform hochgeladen, um die Kreislauffähigkeit des Projekts zu ermitteln. Wir erwarten darüber hinaus weitere Vorteile bei der Anwendung diverser Tools rund um das Thema Nachhaltigkeit.
Wird BIM bei Ihnen in absehbarer Zeit Standard, Herr Dorn?
Frank Dorn: Wir werden auf jeden Fall vieles aus diesem Projekt lernen. Mit unseren Erfahrungen setzen wir dann für das nächste Projekt einen Anforderungskatalog auf – mitsamt den Voraussetzungen, die wir von unseren Dienstleistern erwarten. Je mehr von diesen Best Practices wir verwenden können, desto geringer fällt letztlich der Mehraufwand für uns sowie die Dienstleister aus, da bereits alle wissen, was genau wir in welcher Form benötigen – und was wir weglassen können. Auf jeden Fall werden wir die Vorteile des Building Information Modelings in Sachen Nachhaltigkeit sehr viel stärker nutzen als bisher. Bis sich hieraus ein Standard bildet, wird es aber noch dauern. Allerdings muss das unser klares Ziel sein.
Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Kollisionsplanung sind aus Ihrer Sicht die BIM-Anwendungsfälle mit dem größten Mehrwert. Warum genau diese?
Schütz: Sprechen wir zunächst vom Neubau: Hier können wir zum Beispiel das sperrige Thema der grauen Energie sehr viel greifbarer machen. Das geschieht durch die eingangs erwähnte Verknüpfung der Bauteile und ihrer Materialbeschreibungen und das anschließende Hochladen auf Madaster oder vergleichbare Plattformen. Madaster ermittelt unter anderem den sogenannten Zirkularitätsgrad, grob gesagt ist das eine Aussage darüber, in welchem Maß Bauteile und Baumaterialien direkt weiter- oder als Sekundärrohstoffe wiederverwendet werden können. Ein digitaler Zwilling hilft zudem schon ab der Planung, eine Life-Cycle-Analyse der CO2-Emissionen oder anderer Parameter, die für die Nachhaltigkeit wichtig sind, durchzuführen. Kommen wir dann zum Umgang mit dem Gebäudebestand: In einer idealen Welt wird irgendwann der gesamte Bestand aus digital gespiegelten Neubauten bestehen. Dann ist es einfach, Verbesserungen zunächst digital zu simulieren und nach einer Optimierung in die Realität umzusetzen.
Dorn: Ein Großteil des Gebäudebestands – auch in unserem Portfolio – besteht aber aus Gebäuden, die schon einige Jahrzehnte alt sind. Und die liegen eben nicht als digitaler Zwilling vor. Sie nachträglich zu digitalisieren, funktioniert theoretisch, ist aber mit viel Aufwand und Handarbeit am Gebäude verbunden, zum Beispiel Baustoffanalysen und auch die Übertragung des Bestands in ein 3-D-Modell.
Ideal wäre, wenn aus dem Betrieb Echtzeitdaten in den digitalen Zwilling zu Analysezwecken einfließen würden.
Prof. Dr. Elmar Schütz
Schütz: Wir wissen, dass an KI-gestützten Vereinfachungen geforscht wird. Ob und wann sie den Markt durchdringen, können wir aber noch nicht sagen. Wäre der Bestand durchdigitalisiert, so wäre BIM hierbei eine Hilfe, um beispielsweise den Dekarbonisierungspfad einfach zu bestimmen. CRREM-Analysen haben heutzutage überwiegend die Verbräuche von Wärme und Strom im Fokus, da dort ein großer Hebel vorhanden ist. Zukünftig können aber auch die Bauteil- beziehungsweise Gebäudeeigenschaften einbezogen werden. Ideal wäre, wenn aus dem Betrieb Echtzeitdaten in den digitalen Zwilling zu Analysezwecken einfließen würden. Aber auch das wird noch dauern.
Im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit aus Investorensicht stellen sich zwei Fragen: Inwiefern lohnt sich das für den Investor überhaupt? Und warum braucht er dafür BIM?
Schütz: Es kommt darauf an, was unter Investor verstanden wird. Wenn es darum geht, Objekte langfristig ins Portfolio aufzunehmen, sind digitale Zwillinge äußerst vielversprechend. Ähnlich wie bei einem Mosaik wird aus vielen einzelnen Mieteinheiten und Immobilien ein umfassendes Bild über den ökologischen Fußabdruck eines gesamten Portfolios. Auf dieser Basis kann der Bestandshalter dann auch verschiedene nachhaltigkeitsbezogene Maßnahmen im Modellversuch simulieren, bevor er sie in der Realität umsetzt.
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Welche weiteren Vorteile und/oder wichtigen Anwendungsfälle gibt es Ihrer Meinung nach im Bereich BIM?
Schütz: Die drei zentralen Anwendungsfälle sind erstens die Vermeidung von Planungsfehlern, zweitens die Möglichkeiten in Sachen Nachhaltigkeit und drittens der effizientere Betrieb. Daneben gibt es aber noch weitere Vorteile. Wer beispielsweise einen umfassenden digitalen Zwilling hat, kann auf dieser Basis sehr viel einfacher Simulationen durchführen, Renderings erstellen oder andere Marketinginstrumente generieren. Darüber hinaus kann mittelfristig ein Kostenvorteil bei Ausschreibung, Vergabe und Bau digitalisierter Gebäude erwartet werden.
Wie hängen der Anwendungsfall Nachhaltigkeit und der Anwendungsfall Betrieb aus Ihrer Sicht zusammen?
Schütz: Den technischen Zusammenhang haben wir schon erläutert. Daneben gibt es vor allem einen wichtigen wirtschaftlichen Zusammenhang: Viele Mieter sind inzwischen bereit, etwas höhere Mietpreise zu bezahlen, wenn bestimmte Nachhaltigkeitsstandards eingehalten werden – und das auch nachgewiesen werden kann. Das geschieht nicht allein aus Überzeugung, sondern deshalb, weil auch sie bestimmte Reportings liefern müssen. Ein BIM-gestütztes Gebäude, das dabei hilft, bietet also einen wichtigen Mehrwert. Das sollte idealerweise in Kombination mit Green Leases einhergehen, die beide Seiten zu einem nachhaltigen Umgang mit den Flächen verpflichten.
Warum geht der Einsatz von BIM im Betrieb noch so schleppend voran?
Dorn: Ganz einfach: Bisher ging es auch ohne. Nun kommt der Druck mindestens von zwei Seiten: von der Kosten- und Finanzierungsseite her und aus der Nachhaltigkeitsregulatorik. Das werden dann auch die Projektentwickler erkennen, die ihre Objekte verkaufen und nicht halten und zukünftig digitale Zwillinge anstoßen.
Bauherren müssen die Erstellung digitaler Zwillinge konsequenter anstoßen und ihren Dienstleistern konkrete Vorgaben liefern.
Frank Dorn
Was fehlt der Branche in Sachen BIM und Nachhaltigkeit noch?
Dorn: Hier gibt es mehrere mögliche Antworten. Eine technische Antwort lautet: Oftmals wird beim Thema Baupläne der Schritt vom 2-D- zum 3-D-Modell nicht vollzogen, weil das deutlich aufwendiger ist. Die dritte Dimension ist also der Einstieg in einen funktionierenden digitalen Zwilling. Hinzu kommen dann weitere Attribute in der vierten, fünften oder sechsten Dimension – Dimension im übertragenen Sinn. Eine prozessbezogene Antwort ist, dass die Bauherren die Erstellung digitaler Zwillinge konsequenter anstoßen und ihren Dienstleistern konkrete Vorgaben liefern müssen, welche Informationen sie bereitstellen sollen. Zumindest müssten das institutionelle Anleger und letztlich alle Marktteilnehmer verlangen, da die Produkte damit transparenter und leichter handelbar werden.
Schütz: Eine politische Antwort lautet, dass es an Hochbauprojekten der öffentlichen Hand mit Vorbildfunktion fehlt. Das ist etwas erstaunlich, da es solche Projekte bei der Verkehrs- und Energieinfrastruktur durchaus schon länger gibt.
Welche Entwicklung erwarten Sie für die Gesamtbranche?
Schütz: Aktuell erleben wir, dass Unternehmen nach und nach Akzeptanz für die Verwendung komplexerer BIM-Modelle entwickeln; wir kommen als Branche also langsam aus dem „Tal der Tränen“. Außerdem setzt sich die Erkenntnis durch, dass an digitalen Zwillingen früher oder später kein Weg vorbeiführt, um wettbewerbsfähig zu sein (obwohl diese Erkenntnis aktuell manchmal noch folgenlos bleibt). Deswegen werden wir uns auf Branchenebene auf mehr Digitalisierung bei Bau und Betrieb zubewegen, wenngleich die Geschwindigkeit dieser Bewegung noch langsam ausfällt.
Das Gespräch führte Vanessa Möller.
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