Startseite » Nachhaltigkeit » Warum wir über graue Emissionen in Gebäuden sprechen sollten und wie künstliche Intelligenz hilft
Das zeigt sich auch schon konkret in der Regulatorik von Bau und Immobilien. Beispielsweise wird es ab 2027 verpflichtend für jedes Gebäude eine Gesamt-Lebenszyklusanalyse zu erstellen, in der Construction Product Regulation (CPR) wird momentan diskutiert, die sogenannten Umweltproduktdeklarationen (EPDs) für alle Bauprodukte verpflichtend zu machen, und große Bauunternehmen müssen schon ab 2024 ihre Lieferkettenemissionen im Zuge der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) veröffentlichen. Wer noch immer glaubt, dass Nachhaltigkeit im Bauwesen keine Rolle spielt, der schläft.
Dennoch, woran denken Sie, wenn Sie nach Nachhaltigkeit in Gebäuden gefragt werden? Wärmepumpen, Solardächer und Isolierung vielleicht? Damit sind Sie nicht alleine, denn die meisten Menschen, die sich heute mit nachhaltigem Bau beschäftigen, fokussieren auf die sogenannten operative Emissionen, die durch diese Maßnahmen verringert werden.
Doch das ist nur die Hälfte der Geschichte. Ein erheblicher Anteil der Emissionen im Bau entsteht durch die Baumaterialherstellung, den Transport und den Lebenszyklus von Materialien. Rund 50% der Emissionen, die durch Gebäude entstehen, sind graue Emissionen. Während zwar immer noch ein erheblicher Anteil an Häusern renoviert werden muss, sind neue Gebäude energieeffizient und unser Elektrizitätsnetz wird mit neuen Energiequellen konstant dekarbonisiert – operative Emissionen werden also bereits unter Hochdruck adressiert. Graue Emissionen sind jedoch kaum jemandem bekannt und bekommen regulatorisch nur langsam mehr Aufmerksamkeit.
Das ist nicht nur schädlich, weil wir einen wichtigen Teil der CO2 Emissionen einfach ignorieren. Das ist vor allem auch problematisch, weil graue Emissionen gleich zu Beginn des Gebäudelebenszyklus entstehen und später nicht mehr verringert werden können, sie sind heute relevant! Und ganz nebenbei verursachen Baumaterialien auch noch ca. 50% des Müllaufkommens in Europa und stellen unter anderem einen erheblichen Einfluss auf Wasserverbrauch, Biodiversität und Giftstoffe dar.
Also, wodurch entstehen diese Emissionen denn nun und wie kann man sie verringern? Gibt es vielleicht sogar schon Beispiele, wo das erfolgreich gemacht wird? Auf jeden Fall!
Vorweg: Der Löwenanteil der grauen Emissionen entsteht tatsächlich in der Materialproduktion. Das Narrativ so mancher Bauunternehmen, dass Transportdistanzen durch lokalen Einkauf verringert wurden und die Baumaschinen elektrisch angetrieben sind, adressiert leider nur einen sehr kleinen Teil des Problems. Der allergrößte Anteil wird durch die Materialproduktion verursacht. Hier beispielhaft die Emissionsverteilung im Gebäude:
Der beste Ansatz zur Reduktion ist also die Verringerung der Materialemissionen und die kann auf vielen Ebenen bewirkt werden. Das Nachhaltigste wäre (wie immer) gar nicht bzw. weniger zu bauen. Während das für einige Anwendungsfälle eine valide Möglichkeit ist, die auf jeden Fall immer in Betracht gezogen werden sollte (und im Wohnungsbau auch schon wird!) – ist das für große Teile der Weltbevölkerung wenig realistisch. Bis 2060 soll sich die gebaute Umwelt verdoppeln – jeden Tag wird also weltweit eine Gebäudemasse von New York errichtet. Darüber hinaus stehen wir vor gigantischen Infrastrukturprojekten, um die Energiewende hin zu einer dezentralen nachhaltigen Versorgung zu gewährleisten.
Kommen wir also zu der nächsten Option: Design und Bau. Hier liegen sehr große Hebel – in der Auswahl der Materialien von frühen Design-Phasen bis hin zur Umsetzung. Was hier im ersten Schritt relevant ist, ist das Wissen, wo denn überhaupt die größten Emissionen entstehen. In fast allen europäischen Ländern gibt es bereits Datenbanken zu Materialemissionen und zunehmend geben Hersteller auch materialspezifische Emissionen bekannt. Material Umwelteinwirkungen sind ein Faktor, der schon in frühen Design-Phasen mitgedacht werden muss und später in der konkreten Herstellerauswahl zu Wettbewerb führen sollte. Letztendlich sollten Materialentscheidungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette nicht mehr nur auf Preis und Beschaffenheit beruhen, sondern eben auch auf Umwelteinwirkungen. Das betrifft über CO2-Emissionen hinaus auch die bereits genannten Biodiversitätseinflüsse, Wasserverbräuche, Giftstoffe, Wiederverwendbarkeit usw.
Klingt ja alles schön und gut, aber ist das realistisch? Ja, sehr sogar! Sogenannte Umweltproduktdeklarationen (EPDs) bilden nämlich all diese Faktoren mit ab und sind schon heute ein weit verbreiteter Standard für Bauprodukte. Während andere Industrien noch diskutieren, wie man die Umwelteinflüsse denn am besten abbilden sollte, ist die Bauwirtschaft hier schon voraus!
Hersteller sollten die Erstellung und Verbreitung ihrer Umweltdaten priorisieren, weil sie in Zukunft einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen werden bzw. in vielen Projekten sogar heute schon tun. Das bewirkt dann nicht nur Transparenz, sondern auch einen finanziellen Anreiz, nachhaltigere Materialien zu produzieren, bzw. bestehende Prozesse zu dekarbonisieren.
Außerdem nutzen die allermeisten Baufirmen und Projektentwickler Dokumente und/oder Software, wo Materialinformation in verschiedenen Formen abliegt. Es muss also lediglich die bestehende Umweltinformation von Materialherstellern zusammengeführt werden mit den dokumentierten Materialinformationen der Gesamtprojekte, sodass Umweltdaten ein Schlüsselkriterium für Entscheidungen entlang der Bau Wertschöpfungskette werden.
Das mag vielleicht kompliziert klingen, doch hier kann die neuste Lieblingstechnologie der Menschheit helfen: künstliche Intelligenz. Aufgrund der großen existierenden Datenmengen an Leistungsverzeichnissen, Ausschreibungen, 3D Gebäudemodellen und den vergangenen Bemühungen, diese manuell mit der fragmentierten Landschaft an Umweltdaten zusammenzuführen, gibt es existierende große Datensätze, mit deren Hilfe die Emissionsermittlung von Gebäuden automatisiert werden kann. Ähnlich kann die Lebenszyklusanalyse von Baumaterialien mit künstlicher Intelligenz unterstützt werden. Beispielsweise lässt sich mit den Texten der weltweit mehreren hundert Tausend bereits erstellten EPDs Modelle trainieren, die dann die Autogenerierung von neuen EPDs ermöglichen.
So viel zu unserem kurzen Ausflug in einen Anwendungsfall von KI im nachhaltigen Bau. Lassen Sie uns gemeinsam graue Emissionen und damit den Klimawandel adressieren und die Bauwirtschaft so gemeinsam zukunftsfähig aufstellen.
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